Blütenfest zwischen Gut Kerschlach und Erling

Artikel aus dem Ammerseekurier vom Juni 2020 (Text: Christine Stedele, Fotos: Guido Wider)

 

 

„Lebenskünstler ist, wer seinen Sommer so erlebt, dass er ihm noch den Winter wärmt“, sagt Alfred Polgar. Es ist Juni, und die Sonne erreicht ihren höchsten Stand. Überall blüht es um die Wette, um so viel wie möglich von den himmlischen Strahlen einzufangen. Sei es in den Gärten, wo die Rosensträucher ihre verschwenderische Fülle zeigen, oder auf den satten Sommerwiesen. Zeit für einen schönen Spaziergang, um die Blütenpracht zu genießen.

 

Die Wanderung beginnt bei Gut Kerschlach auf dem Andechser Höhenrücken. Aus dem Klostergarten grüßt hochgewachsen der Baldrian den Besucher. Sein Duft wirkt für manche abschreckend, andere, vor allem Katzen, sind völlig verrückt nach ihm. Uns Menschen schenkt er Beruhigung, wenn uns dunkle Gedanken den Schlaf rauben. Ebenfalls aus der Reihe der Pflanzen, die die Kraft der Sonne ins Herz der Menschen holen sollen, ist das echte Johanniskraut, das zur Sommersonnwende blüht.

Schon Hildegard von Bingen empfahl es denen, die an „Melancholie“ leiden. Die Blüten, die selbst wie kleine Sonnen aussehen, geben beim Zerdrücken das dunkle, heilsame Rotöl frei.

 

Zunächst geht es ein Stückchen bergab, den König-Ludwig-Weg entlang Richtung Pähl durch den Golfplatz. Am Ende der Anlage biegt der Weg nach rechts Richtung Andechs ab. Ein lichter Wald empfängt den Wanderer und spendet eine angenehme Mischung aus Sonne und Schatten. Vorbei an einem verschwiegenen Moorsee geht es durch alten Baumbestand. Das Gebiet südlich von Erling ist eines der ältesten Landschaftsschutzgebiete in Deutschland und steht schon seit fast 80 Jahren unter staatlichem Schutz. Landwirtschaftlich seit jeher nur extensiv genutzt, kann sich die Natur zwischen den Moränenhügeln der Ammersee- und Würmseegletscher ungestört entwickeln. Kein Wunder also, dass man fast auf Schritt und Tritt auf botanische Raritäten trifft.

 

Der Weg führt an Waldlichtungen vorbei, die in üppiger Blüte stehen. Und fast als hätte es ein Maler als Gemälde komponiert, trifft die dunkle Akelei auf blasslila Mehlprimeln und purpurfarbene Knabenkräuter. Von Letztgenannten erhofften sich schwangere Frauen im alten Griechenland, wenn sie die hodenförmige Wurzel aßen, die Geburt eines Knaben. Immer wieder tun sich in den Wiesen neue Farbenspiele auf, die zu bestaunen sind: die tiefblaue Teufelskralle und dazu ganz in weiß gewandet Wollgras und Waldhyazinthe. Zittergras, Bachnelkenwurz und Lichtnelken bringen Kindheitserinnerungen an bunte Muttertagssträuße zurück.

 

Und doch ist kein Fleckchen wie das andere, der Gletscher hat unterschiedliche Gesteinsformationen und damit ganz verschiedene Lebenswelten hinterlassen: in den Senken feuchte Moorgebiete, daneben am Berghang trockene, sonnige Magerwiesen. Diese warmen, kalkhaltigen Standorte liebt der Wiesensalbei, der gemeinsam mit der Margerite dem weißblauen Himmel Konkurrenz macht. Die „ungezähmte“ Verwandschaft unserer Küchenkräuter wird ergänzt durch Wiesenkümmel und Quendel, dem wilden Thymian. Auch die Hundsrose, eine der Urmütter unserer Gartenrosen, blüht überschwänglich und bildet duftende Hecken. Heilkräuter wie Schafgarbe und Holunderblüten finden sich am Wegesrand, dürfen aber hier im Schutzgebiet selbstverständlich nicht gepflückt werden. Ein weiterer Sonnwendblüher mit himmlischem Duft grüßt den Wanderer: das Mädesüß. Sein vanilleartiges Aroma diente früher zum Aromatisieren von Sahne, ein Tee aus den getrockneten Blüten versprach Abhilfe bei Kopfschmerzen.

 

Vorbei an der Hartkapelle kann man kurz vor Erling durch den Wald bergauf eine Abkürzung in Richtung Mesnerbichl nehmen - ein absolutes Eldorado für Naturliebhaber. Auf Trampelpfaden lässt sich der kleine Buckel, ein Drumlin aus der Eiszeit, erkunden. Hier finden sich streng geschützte Pflanzen wie das Alpen-Berghähnlein, die sonst nur im Gebirge wachsen, in verschwenderischer Fülle. Später im Juli ist dann die üppige Blüte der Sumpfgladiole zu bestaunen, ebenfalls eine Rarität außerhalb der Alpen.

 

Überwältigt von diesem Feuerwerk für die Sinne geht es zurück nach Kerschlach. Entweder über den schattigen Weg X6 durch das Maimoos oder über Machtlfing. Zu Fuß sollte man für die Wanderung einen halben Tag einplanen, schließlich gilt es, am Wegesrand nicht nur schöne Ausblicke Richtung Ammersee, sondern eben auch die „kleinen Dinge des Lebens“ zu bestaunen. Wer es eiliger hat, nimmt das Fahrrad und genießt vom Drahtesel aus ein wunderschönes Fleckchen Natur.